Aelred von Rievaulx, Spiegel der Liebe

 

  GOTT selbst ist die Glückseligkeit der Menschen

 

 

8. Dem Menschen gab Gott bei der Erschaffung des Alls nicht nur das Dasein, er machte ihn auch nicht wie die übrigen Geschöpfe bloß zu einem guten, schönen und geordneten, sondern darüber hinaus zu einem glückseligen Wesen. Doch so wie kein Geschöpf weder aus eigenem da ist, noch aus eigenem schön oder gut ist, sondern alles von ihm stammt, der auf höchste Weise ist, und der auf höchste Weise gut und schön und daher der Quell alles Guten, die Schönheit alles Schönen und der Urgrund alles Seienden ist, ebenso ist auch kein Geschöpf von sich aus glückselig. Nein, es ist es durch ihn, der in höchstem Grad glückselig ist: er selbst ist daher die Glückseligkeit aller glückseligen Geschöpfe.

9. Nur das vernunftbegabte Geschöpf kann diese Seligkeit fassen. Es ist ja nach dem Bild seines Schöpfers geformt und fähig, dem anzuhangen, dessen Bild es ist. Diese Begabung kommt allein dem vernunftbegabten Geschöpf zu, wie David sagt: „Mir ist die Begabung gegeben, Gott anzuhangen“ (vgl. Ps 72,28). Freilich geschieht dieses Anhangen nicht auf körperliche Weise, sondern im Geist. In ihn hat der Urheber der Natur dreierlei gelegt, wodurch er der göttlichen Ewigkeit teilhaft werden soll, Anteil erhalten soll an der Weisheit, und das Glück verkosten soll. Ich nenne diese Dreizahl Gedächtnis, Erkenntnisvermögen und Liebe oder Wille. Das Gedächtnis ist für die Ewigkeit empfänglich, das Erkenntnisvermögen für die Weisheit, die Liebe für die Glückseligkeit. In diesen drei Anlagen war der Mensch nach dem Bild der Dreifaltigkeit geschaffen; sein Gedächtnis hielt Gott fest, ohne ihn  je zu vergessen, sein Wissen erkannte ihn ohne Irrtum und in Liebe umfasste er ihn, ohne etwas anderes zu begehren. Daher war er glückselig.

 

 

(Aelred von Rievaulx, Spiegel der Liebe, I, III, hg. v. der Zisterzienserinnen-Abtei Eschenbach, Texte der Zisterzienser-Väter 2, Eschenbach 1989, p. 58–59).

 


 

 

8. Homini ergo in ipsa universitatis creatione dedit non solum esse, nec, ut caeteris, bonum tantum esse, nec solum pulchrum aut ordinatum quid esse, sed insuper beatum quid esse. Sed quemadmodum nulla creatura nec a seipsa est, nec a seipsa pulchra, aut bona est; sed ab ipso qui summe bonus et pulcher est: et ideo bonitas bonorum omnium, pulchritudo pulchrorum omnium, causa omnium existentium: ita nec a seipsa beata est, sed ab ipso qui summe beatus est, ac per hoc beatitudo beatorum omnium.

9. Huius beatitudinis sola rationalis creatura capax est. Ipsa quipped ad imaginem sui Creatoris condita, idonea est illi adhaerere, cuius est imago, quod solum rationalis creaturae bonum est, ut ait sanctus David: Mihi autem adhaerere Deo bonum est.(Ps 72,28) Adhaesio plane ista non carnis, sed mentis est in qua tria quaedam naturarum auctor inseruit, quibus divinae aeternitatis compos efficeretur, particeps sapientiae, dulcedinis degustator. Tria haec memoriam dico, scientiam, amorem sive voluntatem. Aeternitatis quippe cappax est memoria, sapientiae scientia, dulcedinis amor. In his tribus ad imaginem Trinitatis conditus homo, Deum quidem memoria retinebat sine oblivione, scientia agnoscebat sine errore, amore amplectabatur sine alterius rei cupiditate. Hinc beatus.

(Aelredi Rievallensis, Opera Omnia 1, De Speculo Caritatis, I, III, cura et studio C. H. Talbot, CCCM I, Turnholti 1971, p. 16).

 


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